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Fiktionen des Faktischen im historischen Film

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Die Serie „Die Eiserne Zeit – Lieben und Töten im Dreißigjährigen Krieg“ (Arte, am 13. und 20. Oktober 2018) hatte sich viel vorgenommen: den Dreißigjährigen Krieg aus unterschiedlichen Perspektiven und auf den verschiedenen Handlungsebenen des Kriegsgeschehens vor Augen zu führen – gerade auch in seinen europäischen Verflechtungen und Machtansprüchen. Im Folgenden möchte ich einige Bemerkungen zu dieser filmischen Dokumentation machen, die teilweise zustimmend, teilweise kritisch ausfallen müssen. Nach dem filmischen Scheitern dieser Absichten in den ersten drei Episoden (die bisher ja auch in der öffentlichen Diskussion eine nur geringe und tendenziell eher kritische Resonanz fanden), waren die Folgen 4 – 6 eher eine positive Überraschung: Nach einer „Geschichte zum Abgewöhnen“ im ersten Teil, im zweiten Teil dann eher eine Geschichte eine „Geschichte aus der Nähe“, zum Angewöhnen, ja zum Interessieren für Fernsehzuschauer_innen. Die Serie ist derzeit noch in der Arte-Mediathek zu benutzen, erhältlich ist sie aber auch als DVD.

Besonders überraschten die Szenen mit der später der Hexerei Angeklagten von Biberach, der Wirtin Barbara Gseller. Diese Szenen sind einschließlich des happy-end – es kam zu einem Freispruch der Gseller, freilich erst nach 1648 – mit ihrer Verflechtung in den Kontext der einzelnen Folgen besser gelungen, als ich das aufgrund eines mir frühzeitig vorliegenden Gesamtprospekts der Filmserie für möglich hielt. Doch im Sinne einer Verschränkung der unterschiedlichen Handlungsstränge der ganzen Filmserie wäre hier vielleicht noch mehr möglich gewesen. Es hätte z.B. durchaus reizvoll sein können, nicht nur fremde schwedische oder kaiserliche Soldaten, sondern auch den Söldner Peter Hagendorf als einen der Protagonisten des Films einmal als Besucher der Kneipe von Barbara Gseller kennenzulernen. Dies hätte eine gewisse Realitätsgrundlage gehabt, da ja Hagendorf selbst einmal oder mehrmals tatsächlich in Biberach gewesen ist, mit Sicherheit zur Taufe seines Sohnes Quirinus am 19. Februar 1639. Der Söldner ließ ihn dort in der von Katholiken wie Lutheranern gemeinsam, aber nicht gleichzeitig für Gottesdienste benutzten Pfarrkirche evangelisch taufen.

Hagendorf begab sich nach Biberach, weil dies im katholischen Umland Biberachs, wo er einquartiert war, nicht möglich war. Sein lutherisches Bekenntnis war es ihm wert, im Winter einige Meilen bei sicherlich schwierigen Witterungsverhältnissen mit dem Neugeborenen und den Paten nach Biberach zu laufen, um dem Sohn Quirinus das lutherische Taufsakrament zuteil werden zu lassen. Im Film hätte man somit – fiktiv, aber durchaus situationsgerecht – einen Besuch Hagendorfs in der Kneipe der Gseller zu einer Tauf-Nachfeier durchaus effektvoll in Szene setzen können, begleitet von seinem Täufling Quirinus und der Patengesellschaft von Militärangehörigen. Und man hätte dann sogar Quirinus nur wenig später an den Erkältungsfolgen eines solchen Tauffeierbesuchs im Keller der Geseller auch filmisch sterben lassen können – was ja dann auch tatsächlich geschehen ist, als der Kleine kurze Zeit nach der Taufe in Biberach am 19. Februar 1639 verstarb, wie der Söldner in seinem Tagebuch vermerkt.

Die meisten Auftritte des Söldners im Film sind unbefriedigend dargestellt. Ob Hagendorf wohl so von Sinnen und Verstand hätte gewesen sein können, dass er seiner sterbenden pestkranken ersten Ehefrau Anna Maria Stadler vor dem Aushauchen ihres Lebens noch einen letzten Kuss gab wie im Film? Dies wäre schon angesichts eines Pestarztes, der mit Schnabelschutz kontrollierend im Raum herumstolzierte, unmöglich gewesen. Der Film stellt es aber so dar. Hiermit überschreitet er deutlich die Grenze der legitimen Fiktion des Faktischen. Solche Fiktionen des Faktischen sind im dokumentarischen Geschichtsdrama durchaus sinnvoll, ja zuweilen nötig. Doch haben die Erdichtungen Clios auch im Film dort ihre Grenze, wo die Fiktionen des historischen Tatbestands zur faktischen Unmöglichkeit werden. Auch Clio im filmisch-dichterischen Gewand muss, wie die Historikerin Natalie Zemon Davis angesichts der Verfilmung ihrer Geschichte von der Rückkehr des Martin Guerre hervorgehoben hat, im Bereich einer Geschichte des Möglichen verbleiben.[1]

Irgendwo aus dem Off in Teil 4 der Serie wird mit verklausulierter Anspielung auf Joseph Conrads berühmte Kongo-Erzählung gesagt, das Tagebuch Hagendorfs beschreibe eine „Reise in das Herz der Finsternis“. Das weckt hohe Erwartungen. Aber weder im Tagebuch selbst noch im Film wird der Söldner als ein Reisender ins „Herz der kriegerischen (Gewalt)Finsternis“ des Dreißigjährigen Krieges auch wirklich dargestellt. Schon seine Stolperszenen durch den immer gleichen Wald (die man wohl für alle Filmaufnahmen sparsam-auffällig immer an ein und demselben Wald-Ort gedreht hat) wirken hier in ihrer konstanten Wiederholung eines stereotypen Waldszenarios langweilig und kontraproduktiv, als zu harmlos und einfach schlecht verfilmt. Wann ist der Söldner da in seinem Stolpern durch den Wald überhaupt jemals in kriegerischen Gewaltaktionen begriffen? Der aus dem Tagebuch bekannte Zusammenstoß mit den Bauern und die dann erfolgte Rache des Söldners an ihnen sind in der Verfilmung im Wald nur ein unzulänglicher Ersatz. Der Bauernüberfall kommt als Gewaltkonfrontation zwar gut zur Geltung, aber auch diese wird wieder in den notorischen Schablonen-Wald von Nirgendwo versetzt, obwohl diese Gewaltszene laut Tagebuch doch am Straßenrand stattfand und die Wiedererkennungs-Rache des Söldners an den Bauern dann hochnotpeinlich im Feldlager vollzogen wurde.

Die gelungenste persönliche Szene mit dem Söldner als Ehepartner und Tagebuchschreiber kommt dagegen in Teil 5 vor, als die Frau des Söldners ihrem Mann laut buchstabierend aus dessen eigenem Tagebuch vorliest. Dabei stößt sie auf seine Beschreibung von Gewaltszenen bei der Erstürmung eines französischen Schlosses, in dem sich Bauern verschanzt hatten, die dann vom Söldner und seiner Truppe ausgeräuchert und verbrannt wurden, sowie auf ein Massaker an Bauern eines Dorfes, an dem ihr Mann beteiligt gewesen war. Angesichts des Entsetzens der Ehefrau beim Vorlesen dieses besonderen Tagebucherlebnisses bemerkt der Söldner im Film nur trocken: “Es schreibt sich leichter als zu reden.” Hier wird mit den Mitteln des Films in einem fiktiven Dialog eine Gewalterfahrung dramatisierend und emotional-aufwühlend zur Sprache gebracht. Sie ist im Tagebuch selbst zwar notiert, findet dort aber nur in nüchternen Worten als faktischer Vorgang Erwähnung. Es bedurfte im Film geradezu einer legitimen Fiktion des Faktischen, der Inszenierung einer Dialogsituation, um die nüchterne Sprache der Gewalt im Tagebuch zum Leben zu erwecken. Die legitime Fiktion des Films erscheint an dieser Stelle als durchaus gelungen. Mit den spezifischen Mitteln des Films werden nicht nur die Besonderheiten und Unterschiede einer Aufschreib- und einer Erzählsituation von Gewalt ins Bild gesetzt. Es wird darüber hinaus indirekt – in der lakonischen Äußerung des Söldners – das bleibend verstörende Moment einer erlebten Realsituation von Gewalt sichtbar. Ob das Aufschreiben und Zu-Papier-Bringen von Gewalthandlungen aber nun wirklich leichter ist als mündliches Erzählen, das ist eine andere Frage. Doch auf die Unterschiede und Schwierigkeiten aufmerksam gemacht zu haben, ist ein Verdienst des Films und dieser winzigen, unscheinbaren und doch herausragenden Filmszene.

Die Schlacht bei Lützen, der ich selbst als Historiker viel Aufmerksamkeit gewidmet habe [2], scheint mir in ihrer Darstellung im Film nur zum Teil gelungen: das „Vorspiel“ mit dem schwedischen Geschichtsprofessor Bo Eriksson, auch hier mit dessen notorischem Umstürzen von Zinnfiguren als Symbolen für Machtspiel und gewalttätige Auseinandersetzung wie bereits in früheren Filmszenen, erscheint angesichts unzähliger Wiederholungen dieses professoralen Figurenspiels in den unterschiedlichen Teilen des Films einmal mehr als überflüssig. Die nüchternen Kommentare des Experten für Kriegsarchäologie und Schlachtgeschichte, André Schürger, dagegen gelingen besser und sind sachlich informativ. Zu bemängeln ist allerdings das Fehlen eines nennenswerten Soundtracks: hier fehlt nicht nur jeglicher „Kanonendonner“. Auch von Schmerzensschreien und von Trompetensignalen, ebenso wenig von Kampfliedern ist etwas zu hören. Insgesamt jedoch finde ich die Schlacht bei Lützen als ein personennahes Gemetzel mit wenig filmischem Aufwand besser dargestellt als andere Ereigniszusammenhänge der Filmserie. Es fehlt allerdings eine angemessene Darstellung Wallensteins auf seinem Pferd oder in der Sänfte (er war wegen seiner Gicht ja kaum mehr gehfähig). Auch der Tod Gustav Adolfs erscheint unzulänglich, aber immerhin nicht falsch dargestellt. Man hätte jedoch das Vom-Pferd-Stürzen des sterbenden Königs – so oder so – explizit darstellen müssen, um die filmisch-dramatischen Möglichkeiten optimal zu nutzen. Der Blick auf das ausgestopfte Pferd „Streif“ des Schwedenkönigs im Reichsmuseum zu Stockholm und auf einige seiner in der Schlacht getragenen Bekleidungstücke als Museumsobjekte genügt hier nicht. Schließlich geht es bei diesem Königssturz und Königstod um eine ikonographische Schlüsselszene, die Weltgeschichte, aber auch Bildgeschichte gemacht hat.

Teil 6: Frieden 1646-1649. Hier stört die äußerst konventionelle, im vorgeführten Friedensbild des Malers Gerard ter Borch auch in der Filmerklärung sogar falsch charakterisierte Darstellung des Westfälischen Friedensschlusses. Die Perspektive des Films bleibt ausschließlich auf die Errungenschaften der Friedensverhandlungen und die Friedensabsichtserklärungen von Münster und Osnabrück beschränkt. Die tatsächliche schwierige Verwirklichung und Umsetzung dieser Friedensabsichten bleiben dagegen ausgeblendet. Gute Absichten und das „kosmopolitische Flair“ von Münster und Osnabrück allein leisteten die Verwirklichung dieses schwierigen Friedens jedenfalls nicht. Die nachhaltige und endgültige Verwirklichung des Friedens auf dem sog. Nürnberger Exekutionstag von 1649-50 in Nürnberg bleibt im Film gänzlich ausgespart.[3] Und damit bleibt auch die führende Rolle des schwedischen Feldmarschalls Carl Gustav Wrangel beim endgültigen Friedenmachen in Nürnberg komplett außen vor. Hier wurde eine große Chance versäumt, eine neue filmische – und durchaus unterhaltsame – Perspektive auf den schwierigen Prozess des Friedenschließens am Ende des Dreißigjährigen Krieges aufzutun. Gerade die historisch nachweisbare herausragende und glänzende gesellschaftliche und politische Rolle des Feldmarschalls Carl Gustav Wrangel und seiner als beauty queen des Nürnberger Exekutionstags hervorscheinenden Ehefrau Anna Margareta von Haugwitz im Prozess der Nürnberger Friedensexekution von 1649-50 hätten es verdient, filmisch besonders herausgestellt zu werden. Denn beide – Wrangel wie Haugwitz – werden doch vorher in den Folgen 3 – 5 des Films in ihren gänzlich unterschiedlichen und schließlich zusammenfindenden Lebensläufen als männlicher Kriegstäter und als weibliches Kriegsopfer durchaus interessant ins Szene gesetzt.

Und das Ende des Krieges für Peter Hagendorf: sein Sturz von der Memminger Stadtmauer als angeblich „Betrunkener“ (was völlig unbewiesen ist) und sein Weg aus Memmingen fort ins Ungewisse, an den im Film dann nachträglich (nach dessen Fertigstellung) noch eine Bemerkung aus dem Off über Hagendorfs Heimkehr in seine Heimat nach Görzke bei Magdeburg einfach “angepappt” wurde? Sie sind ein unbefriedigendes Ende. Da hilft auch keine konventionelle Zerstörungs- und keine Schreckensbilanz am Schluss. Sie wird als ein konventionelles Ende nach dem eigentlichen Handlungsende des Filmgeschehens nochmals vor die Augen der Zuschauer gesetzt. Dies erfolgt, ohne dass die ganz unterschiedlichen Schicksale der Regionen, Orte und Personen im Dreißigjährigen Krieg nochmals erwähnt würden. Es endete keineswegs alles im Dreißigjährigen Krieg in einer Katastrophe. Das zeigt sich nicht nur im bis heute unvollendeten Prachtschloss Skokloster in Schweden, das Feldmarschall Wrangel gleich nach dem Krieg aus seinen Kriegsgewinnen zu errichten begann. Sondern auch in der bescheidenen Fortsetzung der Kriegskarriere des Söldners Peter Hagendorf im Aufbau einer zivilen Existenz im kriegszerstörten Ort Görzke nach seiner Rückkehr in die Heimat. Um diese Vielschichtigkeiten genauer ins Bild zu rücken, hilft nur weitere Geschichtsforschung und deren angemessene Darstellung, nicht aber die Schlussfeststellung dieses Films, dass mit dem Ende des Krieges 1648 auch die „eiserne Zeit“ zu Ende gewesen sei und flugs das Zeitalter der Aufklärung und des Friedens begann.

Diesen Artikel zitieren: Hans Medick, "Fiktionen des Faktischen im historischen Film", in: dk-blog, 23. Oktober 2018, https://dkblog.hypotheses.org/1719.

[1] Natalie Zemon Davis: Die Wahrhaftige Geschichte von der Widerkehr des Martin Guerre, mit einem Nachwort von Carlo Ginzburg, München 1982.

[2] Siehe mein Buch: Der Dreißigjährige Krieg. Zeugnisse vom Leben mit Gewalt, Göttingen 2018, darin: Die Schlacht bei Lützen 1632 – Zeitzeugnisse, Mediendynamik und die Sprache der Gebeine, S. 223 ff.

[3] Ihr habe ich in meinem Buch ein besonderes Kapitel gewidmet: Festmahl und Freudenfeuerwerk: Das Ende des Krieges auf dem Nürnberger Exekutionstag, in: Hans Medick: Der Dreißigjährige Krieg. Zeugnisse vom Leben mit Gewalt, Göttingen 2018, S. 393 ff.


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